13 Jahre sind eine lange Zeit. Selbst für den Direktor eines Gymnasiums. In der mittlerweile 135jährigen Geschichte der TSS gab es auch nur 3 Direktoren (bzw. Schulvorsteherinnen), die länger als Erwin Petersen im Amt waren. Mehrere Schülergenerationen kannten nie einen anderen Direktor. Und sie standen nicht allein mit ihrer Überraschung, als der ehemalige Zehnkämpfer und Landesmeister im Dreisprung in den Ruhestand ging.
Ein Rückblick. Erwin Petersen wurde 1937 in Mülheim an der Ruhr geboren. Nach Beginn des 2. Weltkrieges zog die Familie nach Schlesien in die Nähe von Liegnitz (der späteren Partnerschule der TSS). Vor den heranrückenden Truppen der Sowjetunion floh die Familie in den Kreis Segeberg. Dort wurden sie als Flüchtlinge A einsortiert, was bedeutete, hinter der Oder/Neiße-Linie gewohnt zu haben. Für den 7jährigen Erwin waren das durchaus aufregende Zeiten. Nach der Grundschule ging er auf das Gymnasium in Bad Segeberg, wo er 1957 sein Abitur machte. Sein Studium der Mathematik und Physik begann und beendete er in Hamburg. Um dieses Studium zu finanzieren, arbeitete er erst zwei Jahre in einer Kaffeerösterei, wo er an einem Band die sogenannten Stinker aussortierte, gelbe Bohnen, die beim Röstvorgang irreparablen Geruchsschaden verursacht hätten. Später zog er es vor – trotz seines Aufstiegs zum Endkontrolleur – lieber in der Stadtverwaltung Wahlstedt zu arbeiten, wo er im Ordnungsamt u.a. Wahlen mit vorbereitete. Sicherlich eine ungewöhnliche Studententätigkeit, aber der Hinweis auf den dort arbeitenden Vater erklärt dann manches. „Ein ausschweifendes Studentenleben war mit diesen finanziellen Mitteln natürlich nicht möglich.“ Dem ersten Examen 1963 und dem Referendariat in Bad Brahmstedt folgte 1965 das zweite und eine neue Schule: Büsum. Als Junglehrer arbeitete er freiwillig im Internat und wohnte auch dort. Als einziger Erzieher und mit wenig Freizeit.
Insgesamt neun Jahre verbrachte er so in Dithmarschen. Doch irgendwann kam einfach die Zeit, wo etwas anders laufen sollte: „Haus bauen und das war es dann…Nein.“ Es mußte Möglichkeiten geben dazuzulernen, andere Menschen zu treffen, neue Gelegenheiten. Das Ausland schien hervorragend dazu geeignet. Ein befreundeter Kollege berichtete ihm schon einmal begeistert von Mailand. Doch für den Auslandsdienst an einer deutschen Schule mußte erst einmal ein Antrag auf Versetzung gestellt und genehmigt werden. Das war schwer in diesen Tagen. Mathelehrer waren selten und die Eltern schnell auf den Barrikaden, wenn man die wenigen Vorhandenen auch noch gehen lassen würde. Herr Petersen wollte trotzdem. Dem erstaunten Ministerialbeamten teilte er also schriftlich mit, er würde kündigen, wenn man ihn nicht gehen ließe. Bei der Wahl ihn ganz oder eben nur für einen begrenzten Zeitraum zu verlieren, ließ das Ministerium ihn widerstrebend los. Seine hervorragenden pädagogischen Fähigkeiten waren bekannt und so wurde er nach einer angemessenen Zeitspanne – eine Art Schweigejahr – freigestellt.
1974 ging es dann nach Rom. Es standen andere Schulen zur Auswahl. Exoterische Orte wie Bogota, Istanbul oder Quito, die Hauptstadt von Ecuador. Rom war nicht seine persönliche Nummer Eins, die Entscheidung mußte damals in nur einer Woche fallen. Für Herrn Petersen war das in der Rückschau eine gute Wahl. Die eigentlich dort geplanten 3 Jahre wurden erst auf 5 und dann auf 7 Jahre verlängert. In Rom war er der einzige mit Kenntnissen von der Oberstufenreform, er entwickelte das sogenannte römische Modell mit und wurde Oberstufenleiter. Und das, obwohl im Ausland selten befördert wird, denn in den Augen manches Beamten ist ein Aufenthalt im Ausland wie Urlaub. Herr Petersen erzählt von manchen, bei denen die Erleichterungen des Auslandsdienstes – Dienstboten wären hier des Verständnisses wegen zu erwähnen – schwer aus den Köpfen zu bekommen sind und die mühsam auf die Erde runtergeholt werden müssen. Das Land Italien bot ihm viel. Eine andere Gesellschaft, in der unter anderem das Interesse an Land, Kultur und Geschichte einfach größer ist. Als Beispiel erwähnte er den nicht selbstverständlichen Anblick von Soldaten in einer Schlange vor dem neueröffneten Etruskermuseum. Die italienischen Schüler zeigen ähnliches Interesse. Sie wissen einfach Bescheid und vor allem: “Sie wollen wissen”. Und nicht zuletzt lernte er in Italien seine Frau an der Schule kennen. Aber trotz aller Differenzen, bot Italien doch auch die Nähe zu den eigenen kulturellen Wurzeln. Später, in der Heimat zurück, bestand dann auch der Wunsch die eigenen Defizite in Kultur, Kunst und Archäologie nachzuholen. Italien kannten die Petersens mittlerweile zum Teil besser als das eigene Land.
Nach der Rückkehr und einem damit verbundenen Abstecher nach Henstedt-Ulzburg kam Erwin Petersen 1987 als 16. Direktor und Nachfolger von Heinz Hahn an die Theodor-Storm-Schule. Im Nachhinein waren ihm vor allem der Aufbau des Musikzweiges, die Erweiterung der Schule und auch die Verhandlungen um die Größe der 1992 endlich erbauten Turnhalle wichtig. Entgegen der Planungen wurde sie doch nach langem Kampf in den gewünschten Größenordnungen der Schule gebaut. Herrn Petersen lag ebensoviel am gegenseitigen Engagement, am Miteinander und als vorbildlich erwähnt er dabei das Projekt der Bis(s)trothek. Hier haben sich Schüler/Eltern/Lehrer gemeinsam an einem Projekt beteiligt. Gemeinsam etwas geschaffen. Als Lehrer ist er sich durchaus bewußt, daß pädagogische Noten nicht supergerecht sind, jedoch sollen sie die Schüler weiterbringen. Die Akzeptanz im Ausland beispielsweise ist da eine andere, so etwas wie Rankings wären in Deutschland wohl unvorstellbar. Als TSS-Direktor hatte er auch eine Rolle zu spielen und das fair. Und dabei entsprachen die Vorschriften nicht immer seinen eigenen Vorstellungen oder Idealen. In seiner Welt haben dann letztere bei Konflikten zurückzustehen. Das setzte ihn des öfteren der Kritik aus, die er aber sehr gelassen hinnahm und auch zum Reflektieren nutzte: „Was tun wir?“ Am Beispiel „Sozialer Tag in Schleswig-Holstein“ wird einiges deutlicher. Die TSS nahm beim ersten Anlauf nicht teil, denn es gab gute Argumente dagegen. Der Unterrichtsausfall wäre ebenso anzumerken, wie die Bezahlung der Lehrer, die natürlich trotz nicht gegebenen Unterrichts ohne Abzüge überwiesen wurde. Die Vertreter der Schülerschaft der TSS schlossen sich diesen Argumenten an. Geld kam trotzdem von der TSS, die Schule veranstaltete Konzerte und ließ die Spenden dafür der Aktion zukommen. Die Organisatoren von „Schüler helfen Leben“ konnten oder wollten das nicht sehen. Sie sahen in der TSS nur eine zu strafende Abweichlerin. Noch in Gegenwart des Direktors wurden mit einem Handy die Medien benachrichtigt, die es sich natürlich nicht nehmen ließen auf die Schule einzuprügeln. Das ist eben doch nur schlechter Stil und im lokalen Bereich sind öffentliche Einrichtungen vielfach leichter zu kritisieren, als vielleicht die Wirtschaft, die mit ihrer Werbung eine Publikation mehr als nur unterstützt. Als Direktor hat man auch das durchzustehen. Für Herrn Petersen heißt Zivilcourage querstehen. Auch wenn es nur hinter den Kulissen stattfindet. Manch offensichtlicherer Kampf, ist die undankbare Aufgabe beim Abiumzug die Nichtabiturienten davon abzuhalten mitzulaufen und damit das Schulgelände zu verlassen. Wer denkt dabei schon an den nicht existierenden Versicherungsschutz oder die Sorgfaltspflicht der Schule? Und auch wenn Jahr für Jahr das vertraute Bild des Lehrerdammes gegen die wegschwappende Schülerschaft identisch blieb und Herr Petersen mit dem schuleigenen Megaphon sich gegen die Masse stellen mußte: Der Humor blieb. Da mußte sich der 92er-Abiturient Lars Goldenbogen mit seinem Megaphon schon mal ein belustigtes „Nachmacher“ anhören. Und selbst als Petersens Kopf auf der Abizeitung „Der Abiator – Ich will niemandem zu nahe treten“ auf den von Arnold Schwarzenegger gespielten Terminator montiert wurde, nahm er es mit viel Nonchalance. Da andere Lehrkörper sich darüber doch sehr ereiferten, ein sehr sympathischer Zug.
Da erzähle ich auch noch schnell eine Geschichte, die Hansen II einst mit Begeisterung erwähnte: Die Stadt hatte vor Jahren die Aubrücke zwischen TSS und HTS bis auf die Bohlen demontiert, freundlicherweise ohne irgendjemandem Bescheid zu geben. Die meisten gingen beim Anblick der nicht mehr existierenden Brücke einen Umweg. Nicht Erwin Petersen. Er balancierte über die Balken und kam trockenen Fußes und pünktlich in die Schule.
Nach 13 Jahren ist all dies nun vorbei. Herr Petersen fand die TSS genau richtig in diesem Lebensabschnitt, er konnte mitgestalten, konnte die Ziele, die er für junge Leute wichtig hielt mit integrieren: Denken – selbständig denken, sich selbst helfen und eine Persönlichkeit entwickeln. Als Fazit sieht er diesen Weg – diesen geraden Weg – als so gewünscht an. Er betont noch einmal die Wichtigkeit der Musik, die Wichtigkeit von Ansprüchen und schließt mit: „Ein ideales Ende“. Nach seinem Ausscheiden aus dem Schuldienst wird er sich mehr um seine Familie kümmern – seine Tochter geht in England zur Schule – und einige Hobbies vertiefen, wie beispielsweise die Filmbearbeitung am Computer. Dinge, die im Dienst oft zu kurz kamen. Dinge, die ein wenig im Verborgenen blieben. Wir wünschen ihm viel Glück und Spaß.
(aus der VI. Schulschrift – 2000)